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Klagen von zwei Umweltvereinigungen gegen Planfeststellungsbeschluss zum Abschnitt 1.3a des Bahnprojekts Stuttgart 21 und zur Südumgehung Plieningen teilweise erfolgreich

Datum: 04.12.2018

Kurzbeschreibung: Der einheitliche Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamts vom 14. Juli 2016 zum Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.3a des Bahnprojekts Stuttgart 21 der DB Netz AG und zur Straßenplanung "Südumgehung Plieningen“ des Landes Baden-Württemberg ist rechtswidrig und nicht vollziehbar. Das hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit zwei heute verkündeten Urteilen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2018 entschieden und damit den Klagen der Schutzgemeinschaft Filder e. V. und des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) Gruppe Stuttgart e. V. teilweise stattgegeben.

Das Eisenbahn-Bundesamt hat es versäumt, die mit dem Vorhaben "Südumgehung Plieningen“ verbundenen Vorteile und die nachteiligen Auswirkungen dieses Vorhabens auf Belange der Umwelt unabhängig vom Eisenbahnvorhaben gegeneinander abzuwägen. Die Zulassung der Straßenplanung ist daher entgegen den gesetzlichen Vorgaben möglicherweise durch die für das Eisenbahnvorhaben sprechenden Gesichtspunkte maßgeblich beeinflusst. Dieser erhebliche Abwägungsfehler kann allerdings in einem ergänzenden Verfahren behoben werden. Im Übrigen ist der Planfeststellungsbeschluss rechtmäßig oder er weist jedenfalls keine erheblichen Rechtsmängel auf. Insoweit blieben die Klagen der beiden Umweltvereinigungen erfolglos.

Der PFA 1.3a umfasst einen Teil der parallel zur Autobahn A 8 verlaufenden Neubaustrecke (NBS) der Bahn entlang des Flughafens Stuttgart, einen neuen Tiefbahnhof für den Zugverkehr auf der NBS am Flughafen (Station NBS), den Flughafentunnel als Zubringer sowie als Folgemaßnahme die Umgestaltung der Anschlussstelle Plieningen der A 8. Diese Planung war ursprünglich Gegenstand des umfassenderen PFA 1.3, der nach einem Erörterungstermin im Herbst 2014 in die beiden Abschnitte 1.3a und 1.3b aufgespalten wurde. Der verbleibende PFA 1.3b mit der Zuführung der Gäubahn über die Rohrer Kurve, der Flughafenkurve und einer Erweiterung der Station Terminal am Flughafen ist Gegenstand eines noch laufenden Planfeststellungsverfahrens. Die Straßenplanung "Südumgehung Plieningen“ umfasst die Verlegung der L 1204 mit Lückenschluss im Zuge der L 1192 entlang der NBS.

Zur Begründung der Entscheidungen hat der Vorsitzende des 5. Senats bei den mündlichen Urteilsverkündungen im Wesentlichen ausgeführt:

Das Eisenbahn-Bundesamt habe bei seiner Abwägung verkannt, dass es sich bei dem Straßenbauvorhaben - trotz seiner verfahrensrechtlichen Verbindung mit dem Eisenbahnvorhaben in einem einheitlichen Planfeststellungsverfahren - um ein selbständiges Vorhaben handele, dessen Vor- und Nachteile gesondert abzuwägen seien. Insoweit halte der Senat an seiner in zwei vorangegangenen Eilverfahren (vgl. Pressemitteilung des VGH vom 15. Februar 2017) vorläufig vertretenen gegenteiligen Rechtsauffassung nicht mehr fest. Die fehlende selbständige Abwägung müsse die Behörde nachholen und hierfür gegebenenfalls konkret ermitteln, mit welchen Entlastungswirkungen die Fertigstellung der Südumgehung für Plieningen verbunden wäre. Den Akten sei nicht zu entnehmen, dass dem Eisenbahn-Bundesamt entsprechende Erhebungen vorgelegen hätten.

Da dieser Abwägungsmangel umweltbezogen sei, seien die Klagen ungeachtet dessen, dass für die Straßenplanung keine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen gewesen sei, teilweise begründet. Bestimmungen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes über Einschränkungen der gerichtlichen Kontrolle bei Klagen von Umweltvereinigungen stünden dem nicht entgegen. Denn diese Bestimmungen seien im Lichte der sich aus der Aarhus-Konvention ergebenden Verpflichtung über den Zugang zu Gerichten so auszulegen, dass die klagenden Umweltvereinigungen zumindest die Verletzung umweltbezogener Vorschriften mit Erfolg geltend machen könnten.

Im Übrigen leide der Planfeststellungsbeschluss, insbesondere in Bezug auf das im Vordergrund stehende Eisenbahnvorhaben, weder unter einem beachtlichen Verfahrensfehler noch unter einem materiellen Mangel. Die Eisenbahnplanung sei aus den mit ihr verfolgten verkehrspolitischen und städtebaulichen Ziele gerechtfertigt. Ihre Finanzierung sei hinreichend gesichert. Die in Teilen ungeklärten Einzelheiten der Finanzierung und die nach dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses bekannt gewordenen Kostensteigerungen seien nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im vorliegenden Verfahren. Das Eisenbahn-Bundesamt habe sich auch hinreichend mit Alternativen sowohl zum Gesamtprojekt Stuttgart 21 als auch zu kleinräumigen Alternativen im Filderraum auseinandergesetzt und diese vertretbar verworfen. Dabei habe es auch die fortgeschrittene Verwirklichung des Gesamtprojekts Stuttgart 21 auf Grundlage gerichtlich überprüfter bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse für andere Abschnitte (u. a. Stuttgarter Tiefbahnhof und Fildertunnel) berücksichtigen dürfen. Die Vor- und Nachteile des Konzepts Stuttgart 21 und alternativer Konzepte seien hinreichend gewürdigt worden. Dies betreffe auch die geplante künftige Führung der Gäubahn über den Flughafen anstatt über die bisherige "Panoramastrecke“. Es sei nicht erkennbar, dass dieser Planung unüberwindbare Hindernisse entgegenstünden. Einzelheiten der Streckenführung zwischen der Rohrer Kurve und dem Flughafen seien Gegenstand des noch nicht abgeschlossenen Planfeststellungsverfahrens zum abgetrennten Abschnitt PFA 1.3b. Insbesondere mögliche negative Auswirkungen auf den Verkehr der S-Bahn und diesbezügliche Lösungsvorschläge bedürften daher im vorliegen Verfahren keiner Klärung. Die von den Klägern präferierte Schaffung eines Bahn-Haltepunktes unmittelbar an der NBS nördlich der Autobahn A 8 anstelle des Tiefbahnhofs habe sich dem Eisenbahn-Bundesamt insbesondere wegen der Entfernung zum Flughafenterminal und zur Messe nicht als eindeutig vorzugswürdig aufdrängen müssen.

Schließlich begegne das für den Tiefbahnhof am Flughafen entwickelte Brandschutzkonzept keinen durchgreifenden Bedenken. Die diesbezüglichen Einwendungen der Schutzgemeinschaft Filder e. V., insbesondere gegen die von der DB Netz AG vorgelegte Evakuierungs- und Entrauchungssimulation, stellten die Tragfähigkeit des Brandschutzkonzepts nicht infrage. Einzelfragen des Brandschutzes könnten im Rahmen der vom Eisenbahn-Bundesamt zu genehmigenden Ausführungsplanung geklärt werden.

Soweit die Kläger weitere Defizite der Umweltverträglichkeitsprüfung und andere Verfahrensmängel auch in Bezug auf das Eisenbahnvorhaben geltend gemacht hätten, seien mögliche Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich. Denn es könne ausgeschlossen werden, dass das Eisenbahn-Bundesamt in Bezug auf das Eisenbahnvorhaben bei fehlerfreier Durchführung des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Gleiches gelte für die Abwägung der für und gegen dieses Vorhaben sprechenden Belange. Angesichts des in den Akten zum Ausdruck kommenden eindeutigen Schwerpunktes der Abwägung in Bezug auf dieses Vorhaben sei zur Überzeugung des Senats ausgeschlossen, dass die parallele Straßenplanung die Entscheidung zugunsten des Eisenbahnvorhabens beeinflusst haben könnte. Schließlich lägen auch keine erheblichen Verstöße gegen Vorschriften zum Schutz von Natur und Landschaft und zum Artenschutz vor.

Der VGH hat in beiden Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen (Az. 5 S 1981/16 und 5 S 2138/16).

 

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