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Anspruch auf Witwengeld trotz Heirat erst zwei Monate vor dem Tod des Ehegatten

Datum: 05.08.2016

Kurzbeschreibung: 
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hat mit Urteil vom 15. Juni 2016 entschieden, dass eine Witwe (Klägerin), die einen lebensbedrohlich erkrankten Beamten in Kenntnis von dessen Erkrankung knapp zwei Monate vor dessen Tod heiratete, ein Anspruch auf Witwengeld hat. Im konkreten Fall sei der Heiratsentschluss bereits vor Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung getroffen und der Hochzeitstermin aus wirklichkeitsnahen Gründen nur aufgeschoben worden. Den Eheleuten sei bei der Hochzeit ärztlicherseits eine gemeinsame Zukunft für eine längere Zeit in Aussicht gestellt worden. Die Vermutung einer Versorgungsehe sei daher widerlegt, so dass die Klägerin Witwengeld verlangen könne.

Zum rechtlichen Hintergrund:

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) erhält die Witwe eines Ruhestandsbeamten Witwengeld. Das Witwengeld wird allerdings nicht gewährt, wenn die Ehe mit dem Verstorbenen nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG). Bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält das Gesetz also eine anspruchsausschließende Vermutung einer Versorgungsehe, die durch besondere Umstände des Falles widerlegt werden kann. Im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen inhaltsgleiche Regelungen.

 

Zum Sachverhalt:

Die 1961 geborene Klägerin bezog mit ihrem 1955 geborenen damaligen Lebensgefährten, einem seit 1995 im Ruhestand befindlichen Bundesbeamten, 1996 eine gemeinsam gemietete Wohnung. In der Nähe wohnte auch der Sohn der Klägerin mit seiner Ehefrau und den 2009 und 2011 geborenen Kindern. Der Lebensgefährte erhielt Versorgungsbezüge von zuletzt rund 2.100 €, die Klägerin ein Arbeitseinkommen von rund 530 € netto monatlich. Bei ihrem Lebensgefährten wurde in der zweiten Jahreshälfte 2012 ein bösartiger Tumor in der Speiseröhre festgestellt. Am 28.03.2013 heirateten die Klägerin und ihr Lebensgefährte. Am 06.05.2013 wurde der Ehemann der Klägerin zur stationären Behandlung mit dem Ziel der Speiseröhrenentfernung im Universitätsklinikum aufgenommen und der Eingriff ohne Komplikationen durchgeführt. In den folgenden Tagen kam es jedoch u.a. zu einer Wundinfektion. Am 24.05.2013 verstarb der Ehemann.

 

Im Juli 2013 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwengeld. Diesen Antrag lehnte die Deutsche Telekom AG unter Verweis auf die Vermutung einer Versorgungsehe (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG) ab. Hiergegen erhob die Klägerin gegen die Bundesrepublik Deutschland (Beklagte) Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg. Sie machte geltend, es habe sich nicht um eine Versorgungsehe gehandelt. Sie und ihr Ehemann hätten vor der Eheschließung 19 Jahre eheähnlich zusammengelebt. Sie seien seit 1995 verlobt gewesen und hätten Verlobungsringe getragen. Ein Heiratstermin sei immer wieder verschoben worden. Nach der Geburt des zweiten Enkelkindes hätten sie beschlossen, am Jahrestag ihres Kennenlernens, am 17.09.2011, die Ehe einzugehen. Die als Trauzeugen eingeplanten Freunde hätten ihre Bereitschaft erklärt. Für die musikalische Begleitung der Hochzeit habe bereits die Zusage einer Band vorgelegen. Im April 2011 hätten sich dann aber Probleme in der Familie zugespitzt, weshalb das Hochzeitsfest nicht mehr im Fokus gestanden habe. Denn ihr Sohn habe sich von seiner Ehefrau getrennt. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Die Verzögerung der Hochzeit sei allein dem Umstand geschuldet gewesen, dass die Verlobten für ihre Eheschließung einen günstigeren, unbeschwerteren Zeitpunkt hätten abwarten wollen. Dies seien jedoch keine - nach der Rechtsprechung erforderlichen - objektiven Hinderungsgründe, die eine Verschiebung der Eheschließung gleichsam erzwungen hätten.

 

Auf die Berufung der Klägerin hat der 4. Senat des VGH das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Witwengeld zu gewähren. Zur Begründung hat er ausgeführt, nach der inzwischen weniger strengen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei es für die Widerlegung der Vermutung einer Versorgungsehe nicht mehr nötig, dass für die Verschiebung der Hochzeit objektive oder zwingende Gründe vorgelegen hätten. Es reiche aus, wenn die Heirat aus wirklichkeitsnahen Gründen nur aufgeschoben, der Heiratsentschluss aber nicht aufgegeben worden sei. Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe sei widerlegt, wenn die Gesamtbetrachtung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat im Einzelfall ergebe, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwögen oder ihm zumindest gleichwertig seien. Allerdings müssten bei dieser Gesamtbewertung die gegen eine Versorgungsehe sprechenden besonderen Umstände umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit des Beamten zum Zeitpunkt der Heirat gewesen sei. Finde die Eheschließung nicht unmittelbar nach Kenntniserlangung von der lebensbedrohlichen Erkrankung statt, sondern erst, nachdem sich der Gesundheitszustand des erkrankten Ehepartners so gebessert habe, dass die Möglichkeit einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft wieder zu erwarten stehe, könne auch dies auf einen anderen Beweggrund der Heirat als den der Versorgungsabsicht schließen lassen.

 

Die Klägerin habe die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe durch ihren glaubhaften Vortrag widerlegt. Der Senat sei nach der Beweisaufnahme durch Vernehmung von sieben Zeugen davon überzeugt, dass die für den 17.09.2011 beschlossene Hochzeit wegen der im Sommer 2011 erfolgten Trennung des Sohns der Klägerin und seiner Ehefrau und den damit verbundenen Belastungen in den Hintergrund gerückt und diese familiären Probleme im Sommer 2011 überraschend aufgetreten seien. In dieser Entwicklung der familiären Situation im Sommer 2011 liege ein nachvollziehbarer, realistischer Grund für die Verschiebung einer bereits geplanten Hochzeit. Wäre es den späteren Eheleuten in erster Linie um die Versorgung der Klägerin gegangen, hätte es nahegelegen, die Ehe sofort nach der Krebsdiagnose zu schließen. Sie hätten jedoch im März 2013 geheiratet, nachdem der damalige Lebensgefährte der Klägerin die Chemotherapie bereits abgeschlossen und sich sein Gesundheitszustand soweit gebessert habe, dass die Möglichkeit einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft wieder zu erwarten gewesen sei.

 

Das Urteil ist rechtskräftig, da die Beklagte kein Rechtsmittel zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt hat und die Rechtsmittelfrist von einem Monat abgelaufen ist (Az. 4 S 1562/15).

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