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Erfolgreicher Eilantrag gegen versammlungsrechtliches Fackelverbot: VGH weist Beschwerde der Stadt Pforzheim zurück

Datum: 22.02.2012

Kurzbeschreibung: Das von der Stadt Pforzheim (Antragsgegnerin) gegenüber dem Veranstalter (Antragsteller) einer für den 23.02.2012 angemeldeten Mahnwache sofort vollziehbar verfügte Verbot, bei der Versammlung Fackeln und vergleichbare offene Feuer mitzuführen, die Assoziationen an die Fackelaufmärsche der Zeit des Nationalsozialismus hervorrufen könnten, ist rechtswidrig. Das hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) mit einem heute bekannt gegebenen Beschluss entschieden. Er hat damit die Beschwerde der Stadt Pforzheim gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 20.02.2012 zurückgewiesen, der dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen das Verbot gewährt (vgl. Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts vom 20.02.2012).

Der VGH teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Voraussetzungen für eine Auflage nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) nicht vorliegen. Das Verbot lasse sich insbesondere nicht mit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung rechtfertigen.

Auch Auflagen zur Abwehr einer solchen Gefahr seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts am strengen Maßstab von Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu messen. Allein die inhaltliche Ausrichtung einer Versammlung unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gefährde die öffentliche Ordnung grundsätzlich nicht. Aus von der Allgemeinheit missbilligten Motiven und Auffassungen des Veranstalters oder aus einer Gesinnung der Versammlungsteilnehmer könne nicht auf eine unzulässige Meinungskundgabe der Versammlung geschlossen werden. Zwar könnten Besonderheiten der gemeinschaftlichen Kundgabe und Erörterung bzw. besondere Begleitumstände der Demonstration die öffentliche Ordnung gefährden, etwa bei provokativen oder aggressiven Begleitumständen, die einen Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft erzeugten. Das Mitführen von Fackeln sei insoweit zwar ein zu berücksichtigendes Element. Es sei jedoch nicht schon allein geeignet, eine Demonstration im Sinne der Identifikation mit Riten und Symbolen nationalsozialistischer Gewaltherrschaft zu prägen und die zuvor beschriebenen Wirkungen zu entfalten.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die öffentliche Ordnung nicht unmittelbar gefährdet. Denn bei der gegebenen Sachlage sei nicht von provokativen und aggressiven Begleitumständen der Mahnwache und auch nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller die Fackeln in aggressiv-kämpferischer Weise einsetze. Die Mahnwache finde auf dem Aussichtsplateau beim Parkplatz Wartbergallee in einiger Entfernung vom Stadtzentrum statt. Eine unmittelbare Konfrontation mit Teilnehmern der dortigen Veranstaltungen sei auszuschließen. Zwar seien die Fackeln möglicherweise weithin sichtbar. Auch greife der Antragsteller mit ihrer Verwendung nationalsozialistische Veranstaltungsrituale auf, die bei der Bevölkerung Assoziationen an nationalsozialistische Aufmärsche hervorrufen könnten. Da sie jedoch bei einer Mahnwache ohne Redebeiträge und Transparente in größerer Entfernung zum Stadtzentrum mitgeführt würden, würden sie nicht als typische Symbole der Darstellung nationalsozialistischer Machtausübung in aggressiv-kämpferischer Weise eingesetzt. Auch werde kein Einschüchterungseffekt oder ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt. Der Senat berücksichtige bei dieser Würdigung auch, dass weitere Auflagen einem Gesamtgepräge als nationalsozialistischer Aufzug entgegenwirkten. So seien etwa das Tragen von Springerstiefeln und uniformähnlichen Kleidungsstücken, die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und die Benutzung von Trommeln und bestimmter Fahnen untersagt. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller sich nicht an diese Auflagen halte.

Schließlich sei die öffentliche Ordnung nicht wegen des Datums der Mahnwache unmittelbar gefährdet. Zwar könne es sozialen und ethischen Anschauungen über die Grundvoraussetzungen eines geordneten menschlichen Zusammenlebens zuwiderlaufen, wenn Rechtsextreme an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag einen Aufzug mit Provokationswirkung veranstalteten. Ein solcher Fall sei hier jedoch nicht gegeben. Der 23. Februar habe im Bewusstsein der Pforzheimer Bevölkerung als dem lokalen Gedenktag an den Angriff alliierter Luftstreitkräfte am 23.02.1945 auf Pforzheim sicherlich zentrale Bedeutung. Es handele sich aber nicht um einen Tag, der staatlicherseits zum offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus bestimmt worden sei. Der 23. Februar habe im Gegensatz zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar keinen derart unmittelbaren Bezug zu den NS-Verbrechen, dass sich der Mahnwache eine Provokation für Menschen, die der Opfer des Nazi-Regimes gedenken, entnehmen ließe. Daran ändere sich auch nichts durch die in diesem Jahr am 23. Februar in Berlin stattfindende zentrale Gedenkfeier für die Opfer der fremdenfeindlichen Mordserie des NSU oder den bundesweiten Aufruf zu einer Schweigeminute an diesem Tag zum Gedenken an die Opfer rechtsextremistischer Gewalt. Denn es bestehe kein unmittelbarer thematischer Zusammenhang zwischen dem lokalen Gedenktag in Pforzheim mit den genannten Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer rechtsextremistischer Gewalt aus jüngster Zeit.

Es widerspreche daher dem Schutzgehalt der Versammlungsfreiheit, wenn die Antragsgegnerin den dargestellten, vom Bundesverfassungsgericht und den Obergerichten aufgestellten rechtlichen Grundsätzen auszuweichen suche, indem sie mit einem Verbot von Fackeln der alljährlich stattfindenden Mahnwache des Antragstellers ein wesentliches Element dieses Aufzugs, wenn nicht sogar den Aufzug selbst verhindern möchte. Wie Aufrufe der Antragsgegnerin zu den beabsichtigten anderweitigen örtlichen Veranstaltungen zeigten, sei es auch auf andere Weise möglich, ein politisches und gesellschaftliches Zeichen zu setzen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (Az: 1 S 358/12).



§ 15 Abs. 1 VersG lautet: Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

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